Mittwoch, 1. November 2017

Digitaler Nachlass wird nicht ernst genug genommen - warum ich toten Verwandten keine Freundschaftsanfragen stellen können sollte - Eine Übersicht zum aktuellen Stand in Sachen "Digital danach" (Beitrag zur Bloggerparade #diginastory)

Osnabrück - Es war ein tragischer Tod und er kam, natürlich und wie so oft, überraschend. Es ist noch nicht lange her, dass einer meiner Verwandten - ein Cousin zweiten Grades, also ein Cousin meines Vaters - gestorben ist. Der Grund: Eine heftige Lungenentzündung von einem tatsächlich tödlichen Erreger. Dass es sowas noch gibt - unfassbar, wie alles andere! Als ich plötzlich die Todesanzeige in der Zeitung sah, hat es mir fast die Füße weggezogen. Schaue ich aber ins Facebook, den großen blauen Datensammler, so ist vom Tod meines Cousins zweiten Grades nichts zu spüren (übrigens: Nicht Großcousin, so etwas gibt es gar nicht) - ich könnte dort seine Beiträge liken oder kommentieren. Und ich könnte ihm eine Freundschaftsanfrage senden. Dem Mann, auf dessen Beerdigung ich war. Ein gutes Beispiel für ein großes Problem, das kaum einer ernst genug nimmt: Den digitalen Nachlass.

Nun war auch dieser Cousin zweiten Grades schon über 70, also in einem Alter, in dem man vielleicht nicht mehr auf jeden digitalen Trendzug aufspringen muss. Dass er überhaupt bei Facebook war, ist - verglichen mit den nicht so digitalen Aktivitäten von manchen seiner Altersgenossen - vergleichsweise ungewöhnlich. Aber was, wenn einer wie ich plötzlich sterben würde? Unfall, Herzinfarkt, Hirninfarkt, die Liste der möglichen Ereignisse ist ebenso lang wie, leider auch, alltäglich. Da wären zwei Blogs mit weiter laufenden Kommentarfunktionen, ein Twitterauftritt, ein Facebookauftritt, mehrere Mailaccounts, mehrere digitale Abos beispielsweise bei Streamingdiensten, allerlei Logins in digitalen Verkaufsräumen,... Und wer weiß was noch? Oder, noch ein Beispiel, sagen wir, es träfe Donald Trump. Was hinterließe er seinen Erben? Unter anderem einen prall gefüllten Twitteraccount voller wüster Beschimpfungen und zorniger Attacken. Ein gutes Erbe? Nun, soviel sollte inzwischen klar sein:


Digitales Aufräumen nach dem Tod kann eine langwierige und schwierige Sache sein - alleine schon, weil der Gestorbene auf Facebook und in anderen sozialen Netzwerken noch präsent ist...  (Thomas-Achenbach-Foto) 

Das ganze digitale Zeugs muss also irgendwie geregelt werden, am besten vor dem Tod, spätestens aber danach - macht zwar (noch) keiner, wird aber immer wichtiger. Weil ja auch alles in unserem Leben immer digitaler wird. Nach Angaben der Verbraucherzentrale stirbt alle drei Minuten ein Facebook-Nutzer in Deutschland. Da dürften sich also eine Menge Profile längst gestorbener Menschen finden lassen. Nicht so schön. Gott sei Dank gibt es inzwischen immer mehr Macher und Multiplikatoren, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Viele davon kommen am 16. 11. 2017 zu der in München stattfindenden Konferenz "Digina", organisiert vom Blogger-Team "Digital Danach". Diese Veranstaltung ist auch der Grund für diesen Blogbeitrag - denn die Macher der Konferenz haben zu einer Blogparade aufgerufen (Hashtag: #diginastory). Und weil ich mich mit dem Thema digitaler Nachlass schon einmal intensiver beschäftigt hatte, war es für mich Pflichtprogramm, daran teilzunehmen. Weil auch ich inzwischen verinnerlicht habe: 


Etwas muss geschehen mit dem ditigalen Zeugs - aber was?


Das ganze digitale Zeugs nach dem Tod einfach ungeregelt liegenlassen, ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Nicht nur, aber auch, weil alles, was dann da ist, nach wie vor zu Reaktionen einlädt - vielleicht auch zu Beschimpfungen. Aber wie verletzend muss es für Angehörige sein, nicht nur ein Familienmitglied zu verlieren, sondern dies nach dem Tod auch noch digital angegriffen zu erleben. Nicht nur, aber auch, weil heutzutage einfach fast alles über den digitalen Weg abgewickelt wird. Clevere Bestatter haben das längst erkannt und bieten mit ihren Dienstleistungen auch digitale Aufräumdienste mit an (beispielsweise Columba). Noch besser als ein Post-Mortem-Service ist natürlich: Alles schon vorher regeln. Zum Beispiel über das Testament oder eine testamentarische Verfügung. Das macht natürlich etwas Arbeit, ist aber eine gute Entlastung für die Angehörigen. Hier ein paar Tipps, was sich machen ließe (Stand: Ende 2017) - inklusive wertvoller Hinweise von Birgit Aurelia Janetzky, die sich mit ihrem Unternehmen "Semno Consulting" auf genau diese "Schnittstelle zwischen Mensch, Tod und Internet" (Eigenwerbung der Firma) spezialisiert hat. Sie hatte mich bei der Recherche eines Artikels für die Osnabrücker Nachrichten (ON) mit Informationen versorgt - ein Artikel, aus dem auch die folgenden Zeilen stammen. 


Die Datenpolizei sollte vor dem Sterben schon einmal eine Inspektion machen können...  (Thomas-Achenbach-Foto) 

- Erstes Problem: Passwörter. - Auf einer Papierliste alles an Passwörtern samt dazugehöriger Website niederschreiben und diese irgendwo zu hinterlegen ,ist natürlich gefährlich und kontraproduktiv. Hier gibt es digitale Lösungen. Beispielsweise das Programm KeePass, das mit einer auch bei Banken genutzten Sicherheitstechnik arbeitet: Hier lassen sich alle Passwörter verwalten, für andere durch Verschlüsselung und Schutzbarrieren unsichtbar. Der Nutzer braucht nur noch ein so genanntes Master-Passwort, nämlich das für das Programm KeePass. Andere Software verfährt nach ähnlichem Muster (PasswortDepot, PasswordSafe, etc.) Idealerweise bekommen die Angehörigen mit dem Testament zwei Passwörter ausgehändigt: Das für die Hardware (Laptop oder Computer) und das Master-Passwort einer Verwaltungssoftware. Eine andere Lösung, die Birgit Aurelia Janetzky inzwischen empfiehlt, gehört heute oft zum Angebot des Bestatters: Per Datenbankabgleich werden Online-Nutzerkonten aufgespürt und können mit einem Mausklick gelöscht oder bearbeitet werden. Im Hintergrund steht als technischer Dienstleister das Berliner Unternehmen Columba, das sich auf digitale Abmeldungen.

- Zweites Problem: E-Mails. - In Sachen E-Mails stehen sich in Deutschland zwei verschiedene Gesetze im Weg. Einerseits das deutsche Erbrecht, das quasi eine Weitergabe an die Angehörigen beinhaltet, andererseits das Fernmeldegeheimnis, das dem – auch nach dem Tod – rudimentär entgegensteht. Immerhin: Die deutschen Freemail-Anbieter GMX und Web.de gewähren gegen Vorlage eines Erbscheins Zugriff auf das Postfach. Ansonsten wird es schwierig: Oftmals haben Nachlassverwalter die Erfahrung gemacht, dass weder sie noch die Erben Zugriff auf den E-Mail-Account eines Verstorbenen bekommen, wenn sie das Passwort nicht selbst haben. Die E-Mail-Anbieter berufen sich auf das Fernmeldegeheimnis. 

- Drittes Problem: Facebook. Das größte Problem bei Facebook ist, dass jeder Nutzer einen anderen Nutzer als gestorben melden kann – dazu bedarf es noch nicht einmal einer Sterbeurkunde, ein Link auf einen Nachruf oder „ein anderes Dokument zum Tod der Person“ reicht den aktuellen Facebookregeln zufolge dafür aus. Sobald ein Nutzer als gestorben gemeldet wurde, versetzt das Unternehmen seinen Facebook-Auftritt in den „Gedenkzustand“. Alles, was dort gepostet wurde, ist dann noch zu sehen, aber es lässt sich nicht mehr kommentieren oder anderweitig benutzen. Das Problem dabei: Ist eine Facebook-Seite erst einmal im Gedenkzustand, ist auch für die Angehörigen kein Zugriff mehr möglich. Das unter anderem war Gegenstand der Gerichtsprozesse um die gestorbene 15-Jährige, bei denen Facebook am Ende Recht bekam. Bleiben wir noch einmal ganz kurz beim Thema Facebook.... 


Die Konferenz "Digital danach 2017" (Kurz: Digina 2017) macht auch den digitalen Nachlass zum Thema...  (Thomas-Achenbach-Foto) 

- Nochmal Facebook - diesmal: Regelungen im Vorfeld treffen. Übrigens bietet das Unternehmen die Möglichkeit, schon im Vorfeld einen „Legacy Contact“ (Deutsch: Nachlasskontakt) zu bestimmen. Dieser kann im Menüfeld „Sicherheit“ eingegeben werden und wird benachrichtigt, sobald die Seite eines Nutzers in den Gedenkzustand umgebaut worden ist. Als Nachlasskontakt kann man für den gestorbenen Nutzer auf Freundschaftsanfragen antworten und Profibilder aktualisieren – persönliche Nachrichten lesen oder als der Verstorbene etwas posten geht jedoch nicht. 

- Viertes Problem: Twitter. Wer beim Kurznachrichtenservice Twitter einen Nutzer abmelden möchte, muss Dokumente vorlegen. Eine Kopie des eigenen Personalausweises ebenso wie die offizielle Sterbeurkunde des Nutzers. Außerdem behält sich Twitter das Recht vor, bei Inhalten oder Personen des öffentlichen Interesses von einer Löschung des Profils abzusehen. 

- Fünftes Problem: Xing. Das deutsche Netzwerk „Xing“ geht einen anderen Weg: Wird dort ein Nutzer als verstorben gemeldet, fragt das Netzwerk erstmal bei diesem Nutzer selbst an, ob das auch stimmt – das Profil wird derweil erstmal auf unsichtbar geschaltet. Erst wenn das Netzwerk binnen drei Monaten keine Rückmeldung erhält, löscht es das Konto.

- Sechstes Problem: Das ist noch lange nicht alles. Natürlich gäbe es nun noch eine ganze Reihe weiterer Netzwerke und Fragestellungen (Thema Instagram und Bildrechte, beispielsweise, in Cloud-Diensten gespeicherte Daten, gespeichertes EInkaufsverhalten bei Amazon oder E-Bay, etc.) - die Liste möglicher weiterer Themen ist lang und all diese Fragestellungen in aller Detailfreudigkeit auszurecherchieren, wäre eine gute Aufgabe für weitere Artikel.

- Hier geht es zum ON-Artikel "Digitales Aufräumen schon vor dem Tod regeln.." 

PS: Natürlich habe ich nicht nur über das Facebookprofil meines verstorbenen Cousins zweiten Grades geschrieben, sondern bin auch mit den Angehörigen dazu in Kontakt... Das nur am Rande bemerkt, falls sich jemand wundert, nach dem Motto "Was macht der denn da?"...

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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung). Er hält auch Vorträge zum Thema Trauer und Umgang mit Trauernden. Mehr Infos gibt es hier.

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Männertrauergruppe in der Region Osnabrück: Offene Gruppe, Einstieg jederzeit möglich - alle Infos über die Gruppe gibt es hier

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