Sonntag, 20. November 2016

Wie genau funktioniert ein "Sterbestammtisch" bzw. ein "Death-Café"? Über was wird da geredet und warum überhaupt? Was muss geschehen, damit es noch mehr Sterbestammtische in Deutschland gibt - und wäre das wünschenswert?

Osnabrück/Frankfurt a.M. - Er heißt "Tod-Reden" (und hat sogar eine eigene Facebook-Präsenz). Der Name ist Programm. Weil es eben nicht darum geht, die Dinge totzureden, sondern im Gegenteil, ganz aktiv und viel über das zu sprechen, was sonst gern unter den Tisch gekehrt bleibt. Über das Sterben, den Tod, die Trauer. Gemeint ist der Sterbestammtisch, der einmal im Monat in Frankfurt am Main stattfindet und über den ich als Zufallsfund bei einer Internetrecherche gestolpert bin. Das hat mich sehr neugierig gemacht. Was ist das für ein Stammtisch? Was ist seine Funktion? Worum geht es dabei? 

Mit all diesen Fragen habe ich mich kurzerhand an die Organisatorinnen gewandt und sie um ein kleines E-Mail-Interview gebeten. Was dabei herausgekommen ist, lässt sich hier lesen - und vielleicht fühlen sich am Ende des Textes ja noch weitere Menschen berufen, ebenfalls einen Sterbestammtisch einzurichten. Aber worum geht es denn jetzt genau? Hier sind die Antworten, die mir Dorothee Becker, eine Organisatorin von zweien, gegeben hat:


Blumen, schicke Deko, die großen Themen des Lebens - so geht ein Sterbestammtisch.    (Becker-Foto)

Dorothee Becker, ein Sterbestammtisch mit dem Namen „Tod-Reden“ als öffentliche Veranstaltung für alle Interessierten, das ist es, was Sie einmal im Monat anbieten  – funktioniert so etwas wirklich?  Wie oft findet denn der Stammtisch statt und wieviele Personen nehmen teil?

Dorothee Becker: Der Stammtisch hat einen festen Termin, jeden letzten Samstag im Monat von 18 bis 20 Uhr in immer der gleichen Location. Bisher waren Teilnehmer zwischen 4 bis 14 anwesend, dies wechselt sehr. Es nehmen auch Menschen unterschiedlichen Alters teil, bisher ist unsere jüngste Teilnehmerin 22 und die Älteste 81 Jahre.

Und worüber wird dann so geredet?

Dorothee Becker: Wir beginnen meist mit einer Vorstellungsrunde, wobei immer der Grundsatz gilt, dass keiner etwas sagen muss. Wer nur zuhören will, kann auch schweigen. Während der Runde kommen evtl. schon Themen auf, die gerne besprochen werden wollen, dennoch haben wir immer auch ein Thema vorbereitet, z.B. haben wir gesprochen über die „Bilder des Todes“, „Mysterien des Todes“, „Tod und Natur“... . Hier beginnen wir dann meist mit einer kurzen Geschichte oder einen Text, der uns zu dem vorbereiteten Thema in den Sinn gekommen ist. Die Themen aus der Gruppe haben aber Vorrang.

Gibt es eine Form von Moderation?


Dorothee Becker ist eine von zwei Organisatorinnen des Sterbestammtischs.   (Becker-Foto)


Dorothee Becker: Ja, wir sind zu zweit, Leila Haas und ich. Wir übernehmen schon eine „leichte“ Moderation, da an dem Stammtisch sowohl Menschen die professionell im Thema sind als auch einfach Interessierte teilnehmen, achten wir darauf, dass die Gespräche nicht so sehr auf einem professionellen Abstraktionsniveau stattfinden. Es ist uns wichtig auch Raum für die Gefühle und Gedanken zu geben.

Und wozu das Ganze?

Dorothee Becker: Schaut man auf die Entwicklung der Hospiz- und Palliative-Care-Kultur in den letzten Jahren, wird deutlich, dass ein besonderer Fokus auf die spezialisierte und institutionelle Versorgung gelegt wurde. Die eigentliche Idee, dass Tod und Sterben alle Menschen betrifft, ist hier ein wenig aus dem Blick geraten. Daher soll dieser Stammtisch, als schwellennahe, unverbindliche Möglichkeit sich über diese Thema auszutauschen, eine Einladung und Plattform sein. Er ist unabhängig von einer Institution und offen für jeden ohne Verpflichtung, ohne auch weitere Barrieren überwinden zu müssen wie z.B. einen Vereinsbeitritt etc.. 

Ich muss also weder regelmäßig etwas zahlen noch muss ich viel Erfahrungen mitbringen, richtig?

Dorothee Becker: Die Idee ist: Man geht einfach in seine „Lieblings-Location“ und findet dort Menschen, die auch gerne mal über Sterben, Tod, Trauer und das Leben sprechen möchten, da dies im allgemeinen nicht zu den Partythemen gehört.

Wie sind Sie auf diese Idee gekommen und seit wann gibt es diese Einrichtung?

Dorothee Becker: Ich hörte von solch einem ähnlichen Stammtisch in meinem Wohnort und dachte sofort, einen solchen Stammtisch sollte es doch in jeder Stadt geben. Ich nahm Kontakt auf und mehrmals auch Teil an diesem Stammtisch - der dort „Let´s talk about death“ heißt -, teil. In Absprache mit den Initiatorinnen von „Let´s talk about death“  gründeten wir dann einen ähnlichen Stammtisch in der Stadt, in der ich arbeite. 

Also ist die ganze Sache gar nicht soooo neu?

Dorothee Becker: Durchaus nicht. Meine weitere Recherche ergab, dass  bereits 2004 der Schweizer Soziologe Bernard Cattez diese Idee verfolgte und die sogenannten „Cafés mortels“ in der Schweiz, Belgien und Frankreich initiierte. John Underwood transportierte diese Idee dann nach England und nannte die Treffen „Death Cafes“. 2011 entstanden diese „Death Cafes“ dann auch in mehreren Bundesstaaten der USA und kamen unter dieser Bezeichnung wieder nach Europa zurück (vgl.  Solomon, Greenberg, Pyszczynski, 2015). Seit 2014 gibt es ein „Death Café“ in Berlin und weitere werden unter diesem Namen entstehen. Der Mentalität in meiner Stadt entsprechend erschien es mir offener, einen deutschen Namen für den Stammtisch zu wählen und diesen auch immer an einem Ort stattfinden zu lassen, um eine Kontinuität zu ermöglich. So entstand der Name: TOD-REDEN! DER STERBESTAMMTISCH.

Wollen Sie gern Vorreitermodell sein für andere Städte, könnten Sie sich ein Netzwerk von Sterbestammtischen vorstellen?

Dorothee Becker: Meine Vision wäre tatsächlich, dass es solche Stammtische in jeder Stadt, Gemeinde, in jedem Kiez usw. ganz selbstverständlich gibt. Dass somit eine verlässliche Plattform geschaffen wird, auf der man sich unverbindlich mit diesem Thema beschäftigen kann. Ein „Tod-Reden“-Netzwerk wäre sicherlich sinnvoll und unterstützend für weitere Stammtische in anderen Städten. Man könnte gegenseitig profitieren und Erfahrungen austauschen. Vielleicht auch neue „Gründer“ unterstützen und an den bereits gemachten Erfahrungen teilhaben lassen. 

In Wahrheit steht ja eine "Pro-Palliativ"-Einrichtung hinter dem Projekt – ist das eine Art Lobbyistenverband zugunsten von Palliativmedizin?

Dorothee Becker: Die "Pro-Palliativ-Netz GmbH & Co KG" ist mein Arbeitgeber, der sich zur Aufgabe gemacht hat im Bereich Hospiz--und Palliative-Care-Institutionen zu beraten und auch im Bereich der Bildung und Weiterbildung Programme anzubieten. Wir arbeiten eng mit dem Palliativ-Team Frankfurt und dem Würdezentrum in Frankfurt zusammen.
Es ist also kein Verband, sondern ein Team der Praxis. Allerdings möchte ich an dieser Stelle sagen, dass der „Tod-Reden“ Sterbestammtisch ein persönliches Interesse ist.

Aber es steht natürlich die Sorge im Raum, dass man als Gast bei einem solchen Treffen irgendwie beeinflusst werden könnte – oder dass gar kommerzielle Hintergründe eine Rolle spielen?

Dorothee Becker: Der "Tod-Reden"-Sterbestammtisch ist eine Initiative von zwei Frauen (mir und Leila Haas), die Lust und Interesse hatten eine solche Plattform zu initiieren. Der Stammtisch ist kostenfrei und die Miete der Räumlichkeiten werden von uns privat und mit Spenden bezahlt. Mein Arbeitgeber, die "Pro-Palliativ-Netz GmbH & Co KG", das Würdezentrum und das Palliativ-Team Frankfurt unterstützen das Projekt, indem sie unter anderem die Flyer und die Verbreitung derer übernehmen. 

Was ist denn ihre Motivation dabei? 

Leila Haas ist die Partnerin von Dorothee Becker in der Gestaltung der Stammtischrunden.   (Becker-Foto)

Dorothee Becker: Mir ist es ganz wichtig hier wirklich neutral und eben auch als Privatperson zu agieren, denn das ist auch mein ganz privates Interesse. Ich selbst freue mich immer sehr auf die Stammtische, denn es ist sehr bereichernd mich einfach auch mal ganz privat mit den Themen Sterben, Tod und Trauer zu beschäftigen und den professionellen Anteil mal zu Hause zu lassen.

Ein paar Worte zu Ihnen als Person – wie kommen Sie an dieses Thema und wer sind Sie so?

Dorothee Becker: Wir sind zu zweit. Leila Haas und ich. Leila ist Sozialpädagogin, Theaterpädagogin, Trauerrednerin und Trauerbegleiterin. Wir leben in einem Haus und so lag es auf der Hand, dass wir uns zusammen tun. Ich bin Krankenschwester und seit 2004 im Bereich Hospiz-und Palliative Care tätig. Nach einem Master-Studium in Palliative Care bin ich nun im Bereich der Bildung tätig und freue mich sehr meine Erfahrungen aus der Praxis weitergeben zu können. 

Welcherart Erfahrungen sind das?

Dorothee Becker: Das Thema Sterben, Tod, Trauer und Leben ist aus meiner Sicht so zentral, da es uns alle an dieser Stelle verbindet. Meine Erfahrung zeigt mir, dass darüber zu sprechen soviel bewirken kann im positiven Sinne. Das Sterben gehört für mich zum Leben und daher ist das Reden darüber ein Teil des Lebens und dies bestätigt die Aussage einer Teilnehmerin des letzten „Tod-Reden“ Sterbestammtisches bei der Abschlussrunde: „ trotz TOD - gelacht!“

Mal angenommen, jemand fühlte sich nun berufen, einen eigenen Sterbestammtisch ins Leben rufen zu wollen - worauf müsste der- oder diejenige achten, was hätten Sie für Tipps und was wäre Ihnen dabei wichtig? Sozusagen als Ideengeberin?

Dorothee Becker: Wenn jemand in seiner Stadt einen Sterbestammtisch gründen möchte, sollte er darauf achten die Location sorgfältig auszuwählen, denn mir dieser Auswahl wählt man auch ein bisschen die Teilnehmeinnen und Teilnehmer aus. Es sollte die Möglichkeit geben in einem separatem Raum etwas geschützter zu sein. Es sollte wirklich ganz unabhängig sein und nicht über z.B. einen Hospizverein organisiert werden, da dann die Hürde wieder höher ist. Dies als erster Tipp. Sie können gerne meine Kontaktdaten angeben, vielleicht mache ich ja mal einen Workshop hierzu, auf diese Idee haben Sie mich jetzt gebracht....!

Na dann... ;-)  - hier die Kontaktdaten von Dorothee Becker: Telefon: 0176/475 707 95, E-Mail: dorothee.becker@ppn4u.de.


Mehr unter diesem Link: Der Sterbestammtisch ist auch auf Facebook zu finden - hier klicken zum Direktlink. 

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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung). Er hält auch Vorträge zum Thema Trauer und Umgang mit Trauernden. Mehr Infos gibt es hier

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