Mittwoch, 8. November 2017

"Die Bitten der Trauernden..." # Extended - Wertvolle Tipps zum Umgang mit Trauernden - was Menschen in einer Verlustkrise wirklich hilft (meine Ergänzungen)

Osnabrück - "Die Bitten eines Trauernden..." Auf diese wertvolle Liste, die die Dresdner Trauertherapeutin Diana Mirtschink zusammengestellt hat, weise ich in meinen Vorträgen besonders gerne hin. Denn was die Spezialistin für Verlustkrisen da geschaffen hat, ist selten und gekonnt: So zugespitzt, so treffend und so einleuchtend sind die Belange von Menschen in einer Trauer- und Verlustkrise selten zusammengefasst worden. Alles, was es an Tipps für den Umgang mit Trauernden zu sagen gibt, steckt dort drin. Das lädt zur Auseinandersetzung ein. Es lädt dazu ein, sich seine eigenen Gedanken zu machen. Und so habe ich die Liste für mich noch um ein paar weitere Bitten ergänzt. Als Verneigung vor der Form, sozusagen. 

"Redet meine Nöte nicht weg". Mit diesem Eintrag beginnt Diana Mirtschinks Liste. Das Geniale an dieser Präsentation als Liste ist ja genau das: Dass sich jeder einzelne Punkt darauf eigentlich von selbst erklärt, dass es aber zu jedem einzelnen Punkt wieder so viel zu sagen und zu ergänzen gäbe, dass es jeweils einen eigenen Blogbeitrag wert wäre. „Hört mir zu, auch wenn ich mich wiederhole“, beispielsweise, ist so eine der Bitten, auf die es wirklich ankommt. Oder auch diese: "Haltet mich aus." - "Redet meine Nöte nicht weg." -"Seid sprachlos mit mir, wo es keine Worte gibt." - Schmälert nicht das Geschehen." - Alles wertvoll, wichtig, alles wesentlich. Und jetzt kommen drei Ergänzungen, die von mir selbst stammen, die ich aber nach meinen Erfahrungen und meinen Gesprächen mit Trauernden ganz wichtig finde. 


Trauernde sind auf steinigen Wegen unterwegs - und das Glanzlicht des Lebens scheint weit entfernt und eine wuchtige Sache zu sein....   (Thomas-Achenbach-Symbolfoto) 

Erstens: "Trau Dich, mit mir über meine Toten zu sprechen…" - aus der Angst heraus, etwas falsch zu machen, trauen sich die Menschen oft nicht, im Kontakt mit Trauernden über die Gestorbenen zu sprechen. Meistens entsteht diese falsche Vorsicht aus der Angst heraus, man könnte die Trauer in den Menschen wieder wachrufen. Also eigentlich aus guten Beweggründen. Nach dem Motto: Ich erwähne die Toten mal lieber nicht, denn am Ende wecke ich damit womöglich neues Leiden. Aber wer einmal einen Menschen verloren hat, der weiß, dass das nicht stimmt. Natürlich tut es weh. Aber es tut sowieso alles weh, immer, fast immer. Also ist das in gewisser Weise normal. Was indes noch schlimmer ist: Das Gefühl haben zu müssen, dass keiner mehr über die gestorbenen Menschen sprechen mag. Wie es ein Vater einmal formulierte: "Dass sich keiner jemals traut, mit mir über meine tote Tochter zu sprechen, ist für uns so, als würde sie wieder und wieder sterben." 

Zweitens: "Nenn die Toten beim Namen, sie sind immer noch da"… Folgenden Dialog habe ich einmal erlebt. Da frage ich eine Mutter, deren Sohn sich suizidiert hatte. Wie heißt denn Ihr Sohn? Worauf eine daneben sitzende Bekannte in aufwallender Empörung sagte: "Er heißt gar nicht mehr, er hat sich umgebracht!" - Aber natürlich heißt er noch immer so, wie er als lebender Mensch geheißen hat, auch noch als gestorbener Mensch. Sagen wir, er hieß Philipp. Und jetzt, wo er tot ist, heißt er immer noch Philipp. Nur halt, der tote Philipp. Aber eben - Philipp. So steht es ja auch auf dem Grabstein. Es kann für viele Trauernde eine Entlastung sein, wenn der Name der Toten im Gespräch genannt wird. 

Und drittens: "Sie nicht verunsichert, wenn ich auch als Trauernder lache und am Leben ganz teilzunehmen zu scheine (und wenn das nicht der Dauerzustand bleibt)".... Auch das habe ich immer mal wieder erlebt: Dass Menschen, die eigentlich in einem Krisenzustand sein sollten, weil vielleicht ein Verlust erst kürzlich stattgefunden hat, so ganz unberührt zu sein scheinen. Ganz hautnah am Leben teilnehmen. Was dann Freunde und Bekannte und andere auch wieder irritiert. Auf einmal stehen Fragen im Raum wie "Sollte der nicht trauriger sein?" oder "Darf das so sein?" - auch hier gilt, was ich im Kontext von Trauer und Verlust immer sage: Es darf sein. Alles sein. Weil kein Mensch weiß, wie es wirklich aussieht. Weil sich Trauer oft erst noch ihre Wege bahnen muss. Manchmal ist es auch und gerade das im Leiden neu erwachte Wissen um die eigene Vergänglichkeit, das Menschen wieder ganz eng an das Leben heranführt. Warum sollten wir diese Menschen dann vom Leben abhalten wollen?

Linktipp: Hier geht es zur kompletten Liste "Die Bitten eines Trauernden".


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Der Autor dieser Zeilen steht in Osnabrück und im Osnabrücker Land als Trauerbegleiter zur Verfügung. Thomas Achenbach ist zertifizierter Trauerbegleiter nach den Standards des BVT (Große Basisqualifikation). 

Thomas Achenbach ist der Autor dieser drei Bücher: 

-> "Das ABC der Trauer - 77 Rituale und Impulse" (Patmos-Verlag)
-> "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise" (Campus-Verlag)
-> "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut" (Patmos-Verlag)

Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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